|
Swami OmkaranandaGedanken zum TagSeptember 2017
|
Kein Mensch ist eine einfache Einheit, und keine Wissenschaft vom Menschen kann den Anspruch erheben, den Menschen in wahrer, angemessener wissenschaftlicher Weise zu erfassen, ohne dass sie nicht wenigstens die unentbehrlichsten Elemente der relevanten Erkenntnisse anderer Wissenschaftszweige in den Bereich ihrer eigenen Forschung mit einbezieht oder sie wenigstens zur Kenntnis nimmt.
Der Mensch weist in seiner Struktur mehrere Dimensionen auf. Er ist gleichzeitig eine Verkörperung im physischen Bereich, ein mentales Phänomen sowie eine geistige Wesenheit.
Keine Wissenschaft dieser Welt kann mit Überzeugung behaupten, den Menschen durch und durch erkannt zu haben. Diese Begrenztheit unseres Wissens schränkt auch Sinn und Wert, Bedeutung und Anwendbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse ein.
Dieser Umstand verpflichtet jede wissenschaftlich wertvolle Psychologie, den höheren Einsichten in das Phänomen Mensch Beachtung zu schenken und daraus relevante Informationen zu entnehmen; es handelt sich um Einsichten, wie wir sie nicht nur in den Sozial, Geistes und Naturwissenschaften, sondern auch in der zeitlos gültigen philosophia perennis – der geistigmystischen Erfahrung vieler Kulturen – vorfinden.
Das Universum fordert für jede gültige Erklärung der Gesamtheit seiner schwer erfassbaren Fakten die Annahme einer präexistenten Wirklichkeit innerhalb und jenseits seiner Prozesse.
Bei tieferer Erforschung erweist sich die ganze Natur ihrem inneren Aufbau nach als geistig, als zweckhaft in ihren wesentlichen Funktionen und als evolutiv in ihren grundlegenden Bewegungen und Tendenzen.
Als wirklicher, fester Ausgangspunkt aller Wahrnehmung genießt das erfahrende Subjekt – der wahrnehmende, erkennende Mensch als zentrales Bewusstsein – den höchsten ontologischen Status und ist zugleich wesentliche Voraussetzung aller Erkenntnis, auf die alle Objekte in ihrem Offenbarwerden und ihrer Wirklichkeit bezogen sind.
Darin hat alles, was wir erfahren, seinen Ursprung.
Durch das erfahrende Subjekt wird die Materie und alles Wahrgenommene erst erhellt und erkannt.
Ohne die Wahrnehmung durch den Erfahrenden gibt es keine Welt der Dinge, da ja jedes Objekt das Subjekt als die wahrnehmende Instanz voraussetzt.
Das Bewusstsein als das, was nicht aus der raumzeitlichen Bedingtheit hervorgeht, sondern in sich selbst der Faktor ist, der die Erkenntnis erhellt, hat offensichtlich überall höchste, vorrangige Bedeutung für die bewusste Erfahrung.
Dieses Bewusstsein ist Vorbedingung aller Erkenntnisprozesse und spielt eine wirksame Rolle bei der Darstellung aller Zustände des psychophysischen Organismus, bei der Lenkung des Willens und in dem Bemühen, seine Erkenntnisfähigkeit auf die Prozesse und Phänomene der Natur anzuwenden.
Das Bewusstsein untersteht dem Einfluss von Idealen, die es selbst geschaffen haben mag, wobei durch Vermittlung von Idealen und bewussten Energien die Persönlichkeitsprägung und der Verlauf des äußeren Lebens beeinflusst wird.
Schon der physische Körper offenbart in Struktur und Funktion eine Komplexität, die ohne Eingeständnis eines vorher bestehenden, der Materie innewohnenden und sie transzendierenden Bewusstseins nicht erklärbar ist.
Ohne das richtige Verständnis des Vorrangs und der wahren Natur des Bewusstseins besitzt keine Wissenschaft ein festes Fundament.
Die einzigartige und endgültige Entwicklung – speziell im alten indischen Denken – besteht in der Konzeption des inneren Geistes, der das Wahrnehmungsobjekt erkennt oder empfängt, indem er selbst dessen Gestalt annimmt.
Ein weiterer Zug dieser einzigartigen Sichtweise mit Einblick in das Wie und Warum der Dinge und Phänomene liegt in dem Standpunkt, der besagt, dass diese Erkenntnis durch Identität, die über den menschlichen Geist erlangt wird, lediglich empirisch ist und es eine weitere Erkenntnis durch Identität über das höhere Bewusstsein gibt: Diese Erkenntnis ist die gültige und wirkliche, und nur sie liefert die ewig wahre, reale und grundlegende Einsicht in das Wesen der Wahrheit und aller Dinge.
Von seinen unfehlbaren und ewig gültigen Intuitionen geleitet, wird der spirituell Suchende dahin geführt, im menschlichen Geist oder Gemüt nicht so sehr das Substrat der organischen Totalität zu sehen, also das Substrat dessen, was den psychischen Strukturen und Prozessen wie dem individuell Bewussten und Unbewussten zugrunde liegt, als vielmehr eine nach außen weisende, differenzierende, zerstreuende, abgrenzende, unterteilende negative Kraft, die viele Ebenen, Stufen, Ausdrucks und Tätigkeitsgebiete umfasst.
Unsere psychologische Natur ist etwas anderes als unser wahres Sein und Wesen. Sie ist etwas Nichtwesentliches, auch wenn sie erfahrungsmäßigpragmatisch einen, wenn auch problematischen Teil unseres wirklichen Selbst darstellt.
Unser wesentliches Sein ist das unberührte, alles trans zendierende unendliche Bewusstsein von absolutem Reichtum und unschätzbarem Wert.
Auch wenn der Mensch äußerlich betrachtet ein vorwiegend psychologisch bedingtes Wesen darstellt, ist er im Eigentlichen doch ein überpsychologisches Individuum.
Psychologische Untersuchungen und psychologische Experimente sind nicht imstande, eine wahre Erkenntnis des Menschen zu vermitteln, weil dieser grundlegend und wesentlich ein metaphysisches Subjekt ist.
Er ist nichts ohne das Sein – die Existenz – in ihm, und dieses Sein wiederum ist das erste Grundprinzip aller Metaphysik.
Sein ist vom Bewusstsein nicht zu trennen.
Bewusstsein und Sein gehören unzertrennlich zusammen.
Und Bewusstsein ist das, was alle Erkenntnis und Liebe, alles Leben, allen Frieden und alle Freude, alle schöpferische Aktivität, allen Fortschritt bewirkt und alles, was Wachstum und Schönheit, Fülle und Segen hervorruft – kurz alles, was der Mensch tagtäglich auf dieser Erde sucht.
Die Psychologie studiert das menschliche Verhalten.
Das menschliche Gemüt ist mehr als menschliches Verhalten. Die Psychologie ist daher gezwungen, das Phänomen des Gemüts zu untersuchen. Doch gibt es etwas im Menschen, das noch mehr ist als das menschliche Gemüt.
An diesem Punkt stehen Religion und Psychologie in gegenseitiger Abhängigkeit und sind in ihrer Funktion zur Förderung menschlichen Wachstums und Wohlergehens, menschlichen Fortschritts, Friedens und Glücks untrennbar verbunden.
Das Leben des Menschen kann in seinem wachen Bewusstsein nicht ordentlich, edel, würdig, friedlich und froh sein, wenn es – gemäß den Aussagen der Psychologie – ständig von unbewussten Tendenzen, Instinkten und Trieben bestimmt wird. Hier fällt der spirituellen Philosophie eine Rolle zu, indem sie dem bewussten Menschengeist Ideale, Ziele, Werte und Vorbilder liefert.
Diese Ideale, Ziele, Werte, Vorbilder und Normen verleihen dem Leben erst Frieden, Ordnung, Schönheit und Harmonie und verändern die unbewusste Natur, die unbewussten Kräfte und Faktoren.
Wir dürfen den Wert eines geistigen Lebensstils und seine Bedeutung für den Frieden, den Fortschritt, das Glück und die Höherentwicklung der Menschheit nicht unterschätzen.
In der Entfaltung der moralischen und geistigen Natur liegt die Lösung der menschlichen Probleme.
Hierauf beruht auch der unvergängliche Wert einer universalen Religion.
Das Gemüt unterliegt dem Wechsel und der Erneuerung, der Entwicklung und Degeneration, der Einschränkung und Vernichtung. Es ist ein Instrument dessen, was nicht Materie, sondern aus sich selbst heraus strahlendes, allschöpferisches und alles transzendierendes Sein ist.
Das Psychische kann nur dann seine Funktion erfüllen, wenn es vom Licht dessen getragen und ernährt wird, das größer ist als es selbst, nämlich von der göttlichen Existenz in ihm, vom Licht des allreinen Gottbewusstseins – genauso wie die Augen des Körpers nur dann physikalische Gegenstände wahrnehmen, wenn sie die Unterstützung der psychologischen Kräfte dabei erfahren.
Das, was das eigentliche, wahre Selbst in uns ist, bildet die Grundlage unseres gesamten Seins und Erlebens.
Wir können Fragen über die Natur des Psychischen aufwerfen, ja das Vorhandensein einer Psyche überhaupt anzweifeln.
Wir können alles bezweifeln und verneinen, jedoch nicht den Zweifler oder den Verneinenden selbst.
Dieses Sein kann aus logischen Gründen unmöglich angezweifelt werden.
Es stellt das letzte Prinzip in uns dar, aus dessen Licht heraus das Psychische geboren wird.
Das Gemüt, beziehungsweise das Psychische, stellt kein unentbehrliches Instrument für das höchste und letzte Prinzip in uns dar.
Dieses letzte oder höchste Prinzip kann unmittelbar in Aktion treten und unabhängig vom Psychischen Funktionen ausüben, während das Psychische ohne jenes Prinzip keine Existenz besitzt und daher auch ohne es nicht aktiv werden kann.
Sich nicht auf die zentrale, unzerstörbare Wirklichkeit im Menschen zu beziehen heißt, die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten ihrer zentralen Grundlage und Substanz zu berauben.
Wir können auf wechselhaften, widersprüchlichen Grundlagen keine Wissenschaft aufbauen.
Die Wissenschaft kann ihren wissenschaftlichen Charakter nur beibehalten, indem sie auf unveränderliche Gesetze zurückgreift, die ihrerseits ihren Ursprung in der höchsten Realität im Menschen und im Kosmos haben.
Seinem wesentlichen Sein nach steht der Mensch jenseits aller psychologischen Zustände und Funktionen. Er hat Anteil am höchsten Sein.
Die ewige Essenz des aus sich selbst leuchtenden Prinzips in ihm transzendiert alle Vorgänge und Voraussetzungen von Denken, Fühlen, Wollen und Handeln.
Jenes Prinzip im Menschen, welches das Psychische unter seine Herrschaft stellt, ist das wahre Selbst, das unwandelbare, alles bezeugende und alles übersteigende transzendente Bewusstsein.
Als das, was im Psychischen enthalten, zugleich aber höher als das Psychische ist, ist es Beobachter und Zeuge und kann die mentalen Funktionen und psychologischen Erfahrungen beliebig bestimmen.
Mit seiner Hilfe ist es uns möglich, uns von unseren mentalen Prozessen loszulösen, sie zu lenken und zu verändern oder im Licht des allsehenden unendlichen Bewusstseins aufzulösen.
Index WürdigungGedanken zum Tag GzTArchivDivine Light Magazin Freie Online Bücher Bildergalerie AudioVideoLinks
Monatliche Zeitschrift, Jahrgang 42, Nr. 491
Herausgeber: Omkarananda Ashram
Anton Graff Strasse 41
CH-8400 Winterthur
Tel: 052-202 19 03
E-Mail: omkarananda@sunrise.ch
Internet: www.omkarananda.ch
www.omkarananda-ashram.net
Druck und Versand:
Verlag DLZ-Service, Anton Graff-Strasse 65
CH-8400 Winterthur
World Wide Web Edition 2017